Die Grenzen der Selbstoptimierung: 3. Das rechte Maß
Was wir kontrollieren und wo wir uns ergeben sollen
Ein Essay über die Balance zwischen Kontrolle und Hingabe - und den fehlenden Sinn im modernen Mindset-Boom.
3. Das rechte Maß
Wir sollen nicht durch Selbstbeherrschung Herr über das eigene Leben werden, sondern uns dem ergeben, was nicht in unserer Hand liegt; nicht durch Selbstperfektion, sondern durch das Annähern an den Einen, der vollkommen ist.
Im Islam bleiben Leistung, Ausdauer und Gelassenheit im Gleichgewicht. Keine Härte gegen sich selbst, sondern Fürsorge für das, was Allah uns anvertraut hat: Körper, Seele, Zeit, Verstand. Ein sanfter, zugleich standhafter Umgang mit dem eigenen Leben. Denn wer sich für Allah diszipliniert, weiß auch, wann er loslassen darf.
Natürlich sollen wir hohe Ziele und Ansprüche an uns selbst haben und nach dem Besten streben, weil Allah es liebt, wenn wir uns auf Seinem Weg anstrengen und Seine Gaben bestmöglich nutzen, anstatt sie zu verschwenden. Dieses Streben wird nicht von Angst genährt, sondern von Hoffnung – der Hoffnung, von Ihm angenommen zu werden.
Gleichzeitig gilt: Uns obliegt kein Zwang in dem, was wir nicht tragen können.
„Allah legt keiner Seele mehr auf, als sie zu tragen vermag.“ (Qur’an, 2:286)
Wer sich jedoch mit dem absoluten Minimum begnügt, obwohl er mehr kann, verwechselt Zufriedenheit mit Bequemlichkeit. Und das ist ein grober Fehler. Der Mittelweg sucht das Bestmögliche im Rahmen der individuellen Fähigkeit und der Umstände. Ein Balanceakt, der weder in die Schwere von Überlastung noch in die Leichtigkeit der Trägheit abgleitet, sondern die Mitte wie einen ruhigen Pfad zwischen zwei Abgründen hält.
Nichts verliert seinen Wert, wenn wir uns an Allah ausrichten. Alles hat seinen Platz, weil alles in einen größeren Zusammenhang gehört. Du kannst zurücktreten, ohne dich als Verlierer zu fühlen. Du kannst schwach sein, ohne zu zerbrechen. Und du kannst wirken, ohne dich dabei selbst zu verzehren, weil du weißt, wofür du dich bewegst.
So bemühen wir uns, und wenn wir dennoch scheitern, ist das Scheitern kein Makel. Allah betrachtet nicht das Ergebnis, sondern die Aufrichtigkeit der Absicht, die Mühe, das Ringen, das Stolpern, das Fallen und das Wiederaufstehen.
Disziplin wird damit im Glauben zu einem Zeichen von Willen, nicht von Zwang. Sie erinnert uns daran, dass wir Verantwortung tragen für unsere Zeit, unsere Begabungen, unsere Taten, und entlässt uns zugleich aus der Illusion, alles kontrollieren zu können. Am Ende bleibt der Erfolg bei Ihm.
Das eigentliche Ziel von Selbstoptimierung ist also nicht, sein perfektioniertes Ego oder fantastisches Sein zu zelebrieren, sondern sich in Bewusstsein und Würde etwas Größerem zu ergeben, das außerhalb unserer Macht liegt.
Wahre Dankbarkeit beginnt erst nach der Anstrengung, wenn man alles gegeben hat und dann mit Frieden und ruhigem Herzen annimmt, was Allah bestimmt hat. Dies schenkt innere Ruhe, weil man weiß, man hat alles, wirklich alles, seinen Möglichkeiten entsprechend versucht.
Tawakkul bedeutet nicht, wie so oft auch von Muslimen missverstanden, nichts zu tun oder passiv abzuwarten. Es bedeutet, etwas mit höchster Anstrengung zu tun und dann loszulassen.
Dieses Sich-Ergeben ist kein Stillstand, sondern ein ruhiges Weitergehen, auch wenn der genaue Ausgang noch nicht klar ist. Es ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Glauben. Ein Eingeständnis, dass wir begrenzt, bedürftig und abhängig sind, und dass in dieser Begrenzung Sinn und Barmherzigkeit liegt.
Das ist der Unterschied, den die moderne Mindset-Bewegung nicht versteht.
Sie spricht von „purpose“, aber meint Erfolg auf dieser Welt.
Sie spricht von „peace“, aber meint Kontrolle.
Sie sucht nach begrenzter Freiheit in einem goldenen Käfig, aber nicht nach der Vervollkommnung der Seele.
Deswegen bleibt das Herz verschlossen.
Denn das Herz kann niemals ruhig werden, wenn es nur sich selbst genügt, wenn es sich selbst einengt, obwohl Allah es unendlich weit gemacht hat.
Anna@ Min Sakinah
Nochmal lesen:
1. Teil: Die Illusion der Kontrolle
2. Teil: Disziplin ohne Richtung