Die Grenzen der Selbstoptimierung: 1. Die Illusion der Kontrolle
Was wir kontrollieren und wo wir uns ergeben sollen
Ein Essay über die Balance zwischen Kontrolle und Hingabe - und den fehlenden Sinn im modernen Mindset-Boom.
1. Die Illusion der Kontrolle
Es gibt einen seltsamen Widerspruch in unserer Zeit.
Noch nie haben Menschen so viel über „Mindset“, Disziplin und Selbstverbesserung gesprochen, und doch fühlen sich viele innerlich unerfüllt, ausgelaugt, orientierungslos.
Obwohl wir das Ich längst zum Mittelpunkt gemacht haben, fehlt weiterhin etwas Existenzielles.
„Wachse über dich hinaus.“
„Denke größer.“
„Sei die beste Version deiner selbst.“
Es klingt stark, motivierend, klug. Man liest von Routinen, Morgenritualen, Erfolgsstrategien, von High Performance und Self-Mastery. Die moderne Mindset-Kultur hat den Wert der Anstrengung wiederentdeckt, aber sie hat vergessen, wofür sie gebraucht wird. Sie spricht von „Selbstoptimierung“, als könne der Mensch sich selbst vollenden, als ließe sich das Unvollkommene durch genug Willenskraft vollkommen machen. Doch je mehr wir versuchen, diese imaginäre Perfektion zu erreichen, desto tiefer geraten wir in subtile Erschöpfung. Und so verliert sich die Suche - im endlosen Versuch, sich selbst zu überholen.
All diese Strategien und Routinen, all die Systeme der Selbstverbesserung, kreisen um dasselbe Zentrum: das eigene Ego. Wie man sich optimiert, wie man produktiver wird, schöner, erfolgreicher, reicher und gesünder. Doch selten wird gefragt: Wofür?
Was zunächst nach Entwicklung aussieht, wird oft zu einer endlosen Suche nach einem besseren Ich, nach mehr Disziplin, mehr Produktivität, mehr Gelassenheit, mehr Kontrolle über ein Leben, das sich nur bedingt kontrollieren lässt. Letztlich führt diese Mühe nur dazu, dass wir uns selbst zum Mittelpunkt des Universums erheben - eine raffinierte Form des Egozentrismus, getarnt als Selbstverbesserung, angetrieben von innerer Besessenheit.
Wir erschöpfen uns für etwas, das es oft gar nicht wert ist. Wir treiben uns an, um einem Ideal hinterherzulaufen, das uns nie satt und zufrieden machen kann, weil es uns nicht zu stoppen vermag, immer mehr und mehr zu wollen.
Es ist, als würde man ununterbrochen rennen, ohne zu wissen, wohin.
Ja, wir leben vielleicht etwas besser und länger, fühlen uns schlauer und fitter, trotzdem können wir nicht dem Tod entgehen. Es ist ein Wettlauf mit der Zeit, um noch etwas Aufschub zu bekommen für etwas, das unumgänglich ist. Die Motivation des modernen Mindsets ist von Angst getrieben, der Versuch, die Vergänglichkeit noch ein wenig hinauszuschieben. Verhindern können wir sie nicht. Wenn das übergeordnete Ziel fehlt, wird Selbstdisziplin zur Leere und Erfolg zum stillen Schmerz, der bald keine Bedeutung mehr hat.
Die moderne Mindset-Kultur hat uns gelehrt, dass alles eine Frage der Einstellung ist: Glück, Erfolg, Leistung, Zufriedenheit. Doch wer ständig an sich arbeitet, lebt unmerklich in der Vorstellung, immer noch nicht genug zu sein.
Sogar unser Streben nach Ausgeglichenheit ist zu einem Produkt geworden. Wir kaufen Ruhe wie einen Gegenstand. Wir konsumieren Achtsamkeit, planen unsere „Me-Time“, kaufen Bücher über Gelassenheit - und wundern uns, warum sie nie eintritt. Denn die Wurzel des Problems liegt nicht im Mangel an Techniken, sondern im fehlenden, alles übergreifenden Ziel außerhalb unseres Selbsts.
Wenn das Ziel des Lebens nur das Ich ist - sein Erfolg, sein Genuss, seine Glückseligkeit - dann bleibt alles endlich. Man kann trainieren, meditieren, planen, sparen, aber am Ende wartet dennoch dieselbe Stille: der Tod. Und wenn alles, worauf man hingearbeitet hat, in diesem Moment endet, was bleibt dann?
Vielleicht ist das der Punkt, an dem das moderne Mindset seine Grenzen erreicht. Es formt Willenskraft und Durchhaltevermögen. Es strebt nach Perfektion, allein um das Ego emporzuheben, kann aber nicht die Seele veredeln.
Es geht nicht darum, das Ego zu füttern, sondern Allah zu genügen. Denn wir arbeiten nicht, um die beste Version unserer selbst zu werden im Sinne eines makellosen Selbstbildes, sondern um Allahs Wohlgefallen zu suchen und die uns anvertrauten Gaben in Seinem Sinne zu nutzen.
Was nützt uns ein perfektes Mindset, wenn es keine Richtung kennt, die über das eigene Dasein hinausgeht? Vielleicht ist das, was viele als Burnout erleben, nicht nur körperliche oder mentale Erschöpfung, sondern eine tiefere Leere ohne Sinn - die Müdigkeit einer Seele, die unaufhörlich versucht, sich selbst zu tragen.
Anna @ Min Sakinah